Das Scheitern in Olympia

Das Scheitern in Olympia

Die olympischen Spiele zeigen uns jedes Mal erneut auf, welche bewundernswerte körperliche Leistungskapazität im Menschen steckt. Besonders bei Erstplatzierten erscheint uns die gezeigte Performance oft unvorstellbar zu sein. Dennoch folgen darauf zahlreiche SportlerInnen, denen nur ein geringer Unterschied den Platz am Podest nichtig macht. Gerade im Hochleistungssport wird der Erfolg dem mentalen Zustand der Sportler zugeschrieben, weshalb ein starker Fokus auf Mentaltraining gelegt wird. Weshalb können manche Athleten, dann ausgerechnet zu Olympia nicht ihr ganzes Potential ausschöpfen? Im folgenden Artikel werden wir näher auf diese Frage eingehen.

Die Konkurrenzfähigkeit im Hochleistungssport beruht auf jahrelanges Training. Nicht nur körperliche Fitness muss angeeignet werden, sondern notwendige Techniken bzw. Strategien müssen erlernt und eingeübt werden. Deshalb werden im Hochleistungssport die AthletInnen häufig als ebenwürdig im körperlichen und technischen Sinne gesehen. Den entscheidenden Unterschied zum (Miss-)Erfolg findet sich daher oft im mentalen Bereich der AthletInnen wieder, weshalb heutzutage Mentaltraining im Leistungssport als selbstverständlich erachtet wird. Es gibt zahlreiche Studien die bereits belegten, das Mentaltraining die Leistung von Athleten steigern, dennoch passiert es nicht selten, dass SportlerInnen ausgerechnet im Wettkampf sich nicht von ihrer besten Seite zeigen.

Um sich darüber ein besseres Bild machen zu können, beschäftigte sich die Universität Zürich mit der Frage, welche mentale Hindernisse auftauchen und ob sich diese hinderlich auf das Ausschöpfen des vollen Leistungspotentials während den olympischen Spielen auswirken (Schmid, 2004). Untersucht wurden dabei AthletInnen aus der Schweiz hinsichtlich dem Aufkommen mentaler Schwierigkeiten, deren Häufigkeit und ob diese einen bedeutenden Einfluss auf den Erfolg hatten. Es konnte festgestellt werden, dass vor allem fehlendes Selbstvertrauen und mangelnde Fertigkeiten im Umgang mit unangemessenen Erregungszuständen (z.B. Umgang mit Ängsten, Nervosität), negativ auf den Erfolg einwirkt. Bemerkenswerterweise treten diese Probleme unabhängig vom Alter, Geschlecht und Unerfahrenheit der Athleten in Wettkämpfen auf. Diese Ergebnisse konnten ebenfalls in einer Studie, die mit olympischen AthletInnen im nordamerikanischen Raum stattfand, gefunden werden (Weinberg & Gould, 2003). Fasst man die Ergebnisse zusammen, so haben mentale Schwierigkeiten bezogen auf die Erfolgsrelevanz, eine gleiche Bedeutsamkeit, wie Verletzungen oder ungewohnte Wettkampfbedingungen!

Mentaltraining häufig unterschätzt

In Anbetracht des Ergebnisses verwundert es keinen mehr, weshalb Mentaltraining einen solchen Fokus im Hochleistungssport genießt. Wenn also Athleten körperlich ebenwürdig sind und es einen starken Fokus im mentalen Bereich gibt, weshalb passieren dann trotzdem solche Fehler? Unabhängig davon, dass ein Mensch einfach nicht ständig perfekte Ergebnisse erzielen kann, wird oft die Komplexität vom Mentalen Training unterschätzt. So wird Mental Training einfach auf eine Ansammlung simpler Techniken reduziert, aus der man beliebig wählen kann. Im Hintergrund steckt jedoch ebenso ein theoretisches Modell, wie in den meisten Wissenschaften auch. Ein Beispiel eines solchen „Frameworks“ wurde von Robin S. Vealey im Buch „Mental Skills Training in Sport“ (Abbildung 1.) vorgestellt.

In diesem Modell wird angenommen, dass vor allem vier mentale Fähigkeiten ausschlaggebend für den Erfolg und Wohlbefinden von AtheltInnen sind:

Foundation Skills

Diese Rubrik spiegelt die grundlegenden mentalen Fähigkeiten wieder, die für den Erfolg im Sport notwendig sind. Darunter zählt auch der Drang, sich mittels Anstrengung und Persistenz Herausforderungen zu stellen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Auch die Selbstwahrnehmung spielt dabei eine wichtige Rolle. Man muss in der Lage sein, die eigene Gefühls- und Gedankenwelt sowie das Verhalten zu verstehen, um anschließend reflektiert seine Leistung bewerten zu können. Dementsprechend ist es entscheidend, die eigenen Gedanken produktiv einzusetzen und sich auf Aufgaben relevante Informationen zu konzentrieren. Eine gesunde Portion Optimismus, dh. auch seine Gedanken nicht unnötig über Fehler zu zerbrechen und das Vertrauen in sein eigenes Können sind ebenfalls Teilbereiche, die grundlegend wichtig sind für den Erfolg.

Performance Skills

Performance Skills sind mentale Fähigkeiten die während der Ausübung der Sportart wichtig sind. Um zu gewinnen, ist es notwendig aus der gegebenen Situation passende Strategien abzurufen, die Aufmerksamkeit auf relevante Ereignisse zu richten, sowie die Konzentration über längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Dafür ist es notwendig körperliche und geistige Ressourcen optimal zu verwalten, sowie unerwünschte Zustände wie Nervosität erkennen und regulieren zu können.

Personal Development Skills

Unter Personal Development Skills versteht man im Mental Training ein gefestigtes Selbstkonzept und die Fähigkeit mit anderen effektiv durch Kommunikation zu interagieren (zB. erweitern und verwenden von sozialer Unterstützung).

Team Skills

Sie sind die gesammelten Qualitäten eines Teams und spiegeln sich unter anderem in der Überzeugung und Vereinheitlichung des Teams, im Vertrauen ihrer gemeinsamen Leistung und deren Kommunikationsfähigkeit wieder. Besonders in Team orientierten Sportarten ist es wichtig, gegenseitig vertrauen zu können und zu verstehen, dass die individuelle Leistung weniger eine Rolle spielt, wie das Gesamtbild.

Framework
Abbildung 1: Veranschaulicht ein mögliches Framework für Mentales Training im Sport. Entnommen aus: Vealey, R. S. (2007) Mental Skills Training in Sport, S. 291, Figure 13.2

Ziel des Mentalen Trainings ist es nun, diese fundamentalen Fähigkeiten zu verbessern. Dabei inkludiert der Prozess die angewandten Philosophien, Modelle, Strategien sowie Techniken. Neben den Bemühungen des Coaches stellen Faktoren wie der sozial-kulturelle Kontext und das physikalische Training eine wichtige Rolle in der Entwicklung von mentalen Fähigkeiten. Das Mentale Training entspricht somit einem Prozess bestehend aus mehreren Schichten. Beginnend mit der philosophischen Grundeinstellung, die der Trainer verinnerlicht (Rollenverteilung, Ideen und Einstellungen), die in einer Konzeptualisierung von Interventionen nach angemessenen Modellen (theoretischer Hintergrund einer Intervention) und in effektiven Strategien (die darauf folgende Operationalisierung), als auch Techniken münden.

In diesem Modell wird deutlich, dass es nicht ausreicht, willkürliche mentale Techniken den AthletInnen beizubringen. Durch die dargestellte Komplexität der Aufgabe wird deutlich, dass für die Implementierung eines optimierten Trainings ExpertInnen notwendig sind. In der Praxis wird jedoch, wie zuvor beschrieben, Mental Training häufig versimpliziert, weshalb selten ExpertInnen zu Rate gezogen werden. Dies hat zur Folge, dass die Effektivität vom angewandten Training sinkt.

Mentaltraining ist ein Lernprozess

Es muss jedoch festgehalten werden, dass selbst ein professionell durchgeführtes Mentaltraining kein Garant für Erfolg ist. Es darf nicht vergessen werden, dass jede Form von Training einen langwierigen Prozess darstellt der von den SportlerInnen aktiv nachgegangen werden muss. Im mentalen Bereich werden jedoch Verbesserungen nur selten in einem kurzen Zeitraum beobachtet. Dies hat oft Auswirkungen auf die Motivation von AtlethInnen. Um mentale Techniken erfolgreich umsetzen zu können, müssen sie jedoch genauso trainiert werden, wie spezifische Techniken einer Sportart. Es stellt daher eine Notwendigkeit dar, diese im herkömmlichen Training zu implementieren. In der Theorie klingt es zwar einfach, doch sich in den Übungsstunden jedes Mal mental vorzubereiten, seine Performance zu visualisieren und hoch konzentriert zu sein, wird häufig zugunsten gelassener Unterhaltungen mit KollegInnen vernachlässigt. Andererseits können manche Anwendungen seltsam wirken. Zum Beispiel könnte man schiefe Blicke vom Umfeld ernten, wenn man sich in ein aktives Erregungsniveau versetzt, indem man sich ausgiebig bewegt und sich selbst in eine aggressive, wettkampforientierte Einstellung redet. Es gibt noch viele weitere Gründe, weshalb AthletInnen die regelmäßige Ausführung von mentalen Techniken verweigern. Das Problem an der Sache ist jedoch, dass das menschliche Gehirn dazu neigt in extrem Situationen, wie die in einem Wettbewerb, jenes Verhalten anzuwenden, das uns bereits gut vertraut ist. Daraus resultiert, dass ungeübte mentale Techniken nicht umgesetzt und alte Verhaltensschemen aufgerufen werden. Für Athletinnen bedeutet das in Wettkampfsituationen, wie in den olympischen Spielen, dass sie nicht ihr volles Potential ausschöpfen können.

Zusammengefasst können wir feststellen, dass im Hochleistungssport Körper und Geist bei der Sache sein müssen, um erfolgreich das volle Leistungspotential nutzen zu können. Mentale Schwierigkeiten sind mit Hindernissen wie körperliche Verletzungen gleichzusetzen, weshalb routiniertes mentales Training essentiell dazu beiträgt in Wettkampfsituationen einen Zustand optimaler Leistungsbereitschaft zu erreichen. Mentales Training ist jedoch komplexer als die meisten annehmen, weshalb es empfehlenswert ist, Experten im Prozess zu integrieren.